Ein Artikel über den Absolutismus der Freiheit bei Gerhard Scheit und Manfred Dahlmann
Die Metaphysik liegt am Boden. Von den drei klassischen metaphysischen Begriffen – Freiheit, Gott und Unsterblichkeit – gelten die beiden letzteren schon längst als erledigt. Nur ohne den Rekurs auf die Freiheit kann die bürgerliche Gesellschaft immer noch nicht auskommen.
Demokratische Staaten brüsten sich damit, die Freiheit als unantastbares Recht jeden Bürgers verwirklicht zu haben, etwa in der Meinungsfreiheit und der freien Wahl. Und verglichen mit Zensur und Diktatur bleiben die durchs staatliche Gewaltmonopol gesicherten Freiheiten ein gerade von so genannten emanzipatorischen Kräften völlig unterschätzter Fortschritt gegenüber direkten und unmittelbaren Formen der Herrschaft. Angesichts dessen, worauf jede emphatische Idee von Freiheit hofft, erscheinen sie dennoch wie ein armseliges Surrogat. Die Meinungsfreiheit verkehrt sich in eine gegen jedes vernünftige Argument abgedichtetes Reservat persönlicher Willkür und verhärteter Uneinsichtigkeit. Das formale Recht, sich bei jeder Gelegenheit nach persönlichem Belieben äußern zu dürfen, liefert mangels inhaltlicher Kriterien die Grundlage, jeden Widerspruch zu ignorieren. Statt gemeinsame Einsichten in öffentlichen Diskussionen zu erstreiten, sehen sich ausnahmslos alle dazu gedrängt, sich in der Konkurrenz gegeneinander starr zu behaupten.
Wahlfreiheit legitimiert alle Jahre wieder die demokratische Herrschaft. Ihre Konstruktion ist immer ähnlich: Der Staat lässt eine Anzahl von Optionen zu, die die Demokratie nicht in Frage stellen. Dann schließt er jeden äußeren Zwang aus, der die Bürger in ihrer Wahl beeinflussen könnte. Die Notwendigkeit dieser staatlichen Vorgaben zeigt deutlich an, dass die gesellschaftlichen Verhältnisse offenbar an sich so frei gar nicht sind. Zugleich setzt die Wahl implizit eine unbedingte innere Freiheit der bürgerlichen Individuen voraus: Sie müssen in der von äußeren Zwängen befreiten Situation der demokratischen Wahl die innere Willens- und Denkfreiheit besitzen, um eine der zur Verfügung stehenden Parteien oder Personen als Stellvertreter für eigene Interessen auszusuchen. Erst unter dieser Prämisse lassen sich Kreuze auf Wahlzetteln dann als Materialisierung des je individuellen Willens auffassen und zu einem Gesamtwillen aufsummieren.
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